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Jauchzet, frohlocket!

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Musik und Emotionen: Ein Gespräch mit dem Dresdner Kreuzkantor Roderich Kreile

Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach beginnt mit einem grandiosen Eingangschor. Über die Aufforderung zu jauchzen äußert sich der Dresdner Kreuzkantor Roderich Kreile. Mit ihm sprach Sabine Kuschel.

Herr Kreile, in diesen Tagen probt der Dresdner Kreuzchor das Weihnachtsoratorium, das mit einem kraftvollen Chor beginnt. Das »Jauchzet, frohlocket« bringt jubelnde Freude zum Ausdruck. Färbt diese Musik auf den Alltag des Kreuzkantors ab?
Kreile:
Im Alltag habe auch ich nicht so oft Gelegenheit zum Jauchzen. Reine, ungefilterte Freude auszudrücken, ist dem Menschen heute nicht mehr so oft möglich. Er geht seinem Beruf nach, ist eingebunden in bestimmten Beziehungsgeflechten. Er ist meistens beschäftigt mit der Bewältigung der Alltagsprobleme und -sorgen. Das Leben hat sich insgesamt beschleunigt. Zum Aufbau einer gefühlsmäßigen Haltung, die dann zum Jauchzen führt, fehlt vielleicht die Zeit und die Gelegenheit. Man muss Dinge auf Abstand halten können, um jauchzen zu können. Man darf nicht belastet sein. Muss sich Themen zuwenden können, die den Rahmen des Alltäglichen sprengen. Niemand würde sagen, wenn er sich diesen oder jenen Gegenstand gekauft hat, ich habe gejauchzt. Nein, man jauchzt, wenn man eine menschlich erfüllende Nachricht bekommt. Etwa wenn jemand, der einem nahesteht, eine Krankheit überwunden hat. Es ist ein Qualitätsniveau ganz besonderer Art, wenn jemand zu jauchzen beginnt.

Wenn man das Jauchzen des Eingangs­chores hört, bekommt man Gänsehaut. Hat Johann Sebastian Bach eine musikalische Ausdrucksform gefunden, die ihresgleichen sucht?
Kreile:
Als der Barockmeister sich dem Text und dem Emotionsgehalt dieser Worte näherte, fand er eine bereits vorhandene, von ihm komponierte musikalische Ausdrucksform, die ihm geeignet erschien: Der Anfang der Kantate »Tönet, ihr Pauken!« Ein romantischer Komponist hätte das Wort »jauchzen« musikalisch anders umgesetzt. Und wenn man als Komponist heute diesen Text vertonen wollte, könnte man sich Ekstatischeres vorstellen als in der Tiefenlage anzufangen. Aber es hat funktioniert. Die Kombination dieser Worte mit dieser Musik wird in der ganzen Welt gern gehört. Das große Reservoir, aus dem das Jauchzen gespeist wird, teilt sich mit, springt auf andere über, entwickelt Kraft.

Obwohl wir sagen müssen: Sowohl das, was Jauchzen ist, als auch das, was es inhaltlich transportiert, wird im Weihnachtsoratorium entwickelt. Die Pracht und Lebendigkeit dieses Eingangschores, die Trompeten, die Tonart D-Dur und das Umfeld, auch die Zeit, das alles spielt eine Rolle, so dass wir das »Jauchzen« hier an seinem richtigen Platz wahrnehmen.

Moderne Musik vermag sicher auch Ekstase auszulösen. Gibt es dort Vergleichbares, das eine ebensolche Kraft und Wirkung entfalten kann wie Bachs »Jauchzen«?
Kreile:
Nein, das wüsste ich jetzt nicht. Es gibt sicher Stücke, die Ekstatisches ausdrücken können – nicht unbedingt verknüpft mit dem Wort »Jauchzet«. Stücke, die starke emotionale Bewegung und Freude ausdrücken. Doch die Wirkung dieser Bach’schen Musik, insbesondere die des Wortes »Jauchzet« muss man auch immer im Zusammenhang mit der gesamten Erfolgsgeschichte und der Prägung unserer abendländischen Kultur betrachten.

Das Wort »jauchzen« wird im Alltag nicht mehr gebraucht, es wirkt altmodisch …
Kreile:
Es gibt Worte in unserem deutschen Sprachschatz, die zwar noch allgemein verstanden, die von vielen auch mit bestimmten Emotionen assoziiert werden, die aber nicht mehr im Alltagsgebrauch vorhanden sind. Der Begriff »jauchzen« gehört unbedingt dazu, ebenso »jubilieren«. Es sind Worte, die ihre Wurzeln in der deutschen Bibelübertragung haben.

Als Leiter des Dresdner Kreuzchores obliegt Roderich Kreile auch die Funktion eines städtischen Intendanten. Foto: Sabine Kuschel

Als Leiter des Dresdner Kreuzchores obliegt Roderich Kreile auch die Funktion eines städtischen Intendanten. Foto: Sabine Kuschel

Mich fasziniert in diesem Zusammenhang, was die Forschung über Ausdrücke, die eine so große emotionale Wirkung haben, herausgefunden hat. Wie sich die Sprache des Menschen entwickelt hat, darüber gibt es Theorien. Eine Zeitlang dachte man, dass es zuerst Vorformen des Sprechens gab und sich danach das Singen entwickelt hat. Aber inzwischen gibt es Hinweise, dass es wahrscheinlich anders war. Es handelt sich um eine Zusammenführung. Aus einer Art melodiösem Summen mit bestimmten Vokalbildungen haben sich dann sowohl die Sprache als auch das Singen entwickelt.

Der Vormensch hat in der Natur nicht nur das wahrgenommen, was seine Artgenossen ausgedrückt haben, sondern auch das, was er in der Tierwelt beobachtet hat: die Kommunikation von Vögeln. Auch Warnrufe, sowohl aus der Vogelwelt als auch von anderen Tiergattungen. Warnrufe, die auch heute noch beim Menschen physische Reaktionen hervorrufen. Zum Beispiel, wenn man das Kreischen eines Stückes Kreide auf einer Schiefertafel hört, zuckt man zusammen, erschrickt. Man vermutet, dass dieses Geräusch mal ein Warnruf war und deshalb so auf den Menschen wirkt.

Ebenso wird der Mensch die Freude der Schöpfung, der Kreatur bemerkt haben im Tirilieren, im Jubilieren. Ich komme immer wieder auf die Vögel zurück, weil die Menschen aus dem, was in der Vogelwelt geschah, sicher viele Informationen gezogen haben.

Wenn es für manche besonderen emotionalen Erlebnisse an Worten fehlt, vermag die Musik dies auszudrücken?
Kreile:
Ein Mensch, der von Emotionen überschwemmt wird, wird nicht sagen: »Freude, Freude, Freude« oder »Zorn, Zorn, Zorn«. Sondern der ganze Körper, die Physis reagiert und er wird Laute ausstoßen, er wird jauchzen, er wird nicht intellektuell argumentieren, kommunizieren, sondern er wird den Vorgängen, die seine Seele bewegen, unmittelbar Ausdruck verleihen. Und eine Glückserfahrung ist dann Auslöser für das Jauchzen. Das direkte, unverfälschte Hervortreten der freudig bewegten Seele. Ja und ich würde dem heutigen Menschen sehr gönnen, dass er diese Erfahrung öfter macht.

Die Weihnachtsmusiken sind eine Gelegenheit dazu. Die Menschen, die scharenweise ins Weihnachtsoratorium strömen, kommen gewiss auch in der Erwartung, durch die Musik in diesen besonderen Gefühlszustand gehoben zu werden.
Kreile:
Ja, wenn die Leute in der Weihnachtszeit in die Konzerte gehen, haben sie eine ganz bestimmte Erwartung an das, was mit ihnen geschehen soll. Ebenso, wenn sie alle am Heiligen Abend in die Kirche gehen. Sie haben bestimmte Vorstellungen, Erwartungen. Und die müssen dann auch befriedigt werden. Das soll nun die Leistung Bachs oder den Gehalt des Wortes »jauchzen« nicht schmälern. Aber die Emotionalität, die empfunden wird, wird auch genährt aus der eigenen Erwartungshaltung.

Adventsserie zum Monatsspruch
Der Monatsspruch für Dezember steht bei Jesaja 49, Vers 13: »Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der Herr hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.«
In den Adventsausgaben werden wir einige Aspekte dieses Bibeltextes beleuchten. Nacheinander wird es um die darin vorkommenden Begriffe »jauchzen«, »freuen«, »trösten« und »erbarmen« gehen.


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